Kunst. Rembrandts "Nachtwache", da Vincis "Mona Lisa", Spitzwegs "Bücherwurm" - die Brüder Posin kopieren nicht nur, sie hauchen Bildern eine Seele ein.
Von Dietmar Bender
Berlin. Um nicht als Fälschungen zu gelten, müssen die Maße der Bilder etwas kleiner oder etwas größer als die der Originale und deren Maler mindestens 70 Jahre tot sein. Entstanden sind sie im Berliner Kunstsalon Posin von den wohl perfektesten und besten Kopisten Deutschlands, den drei russischen Brüdern Semjon, Michael und Evgeni Posin, die mittlerweile seit einem Vierteljahrhundert in Berlin lebendes Fliesenladens an der Ecke strahlen gut sichtbar, die Süßigkeiten in der Auslage der türkischen Bäckerei nebenan sind hell erleuchtet, nur der abends erst geöffnete Kunstsalon der drei Brüder Posin liegt nahezu im Dunkeln. Über den Glasfenstern klebt bunte Plastikfolie, kaum mehr als ein vager Schimmer Licht dringt nach außen. Kenner finden auch so den Weg in die Wipperstraße im hintersten Berlin-Neukölln, wo das Kopfsteinpflaster bei Regen glänzt wie auf Gemälden alter Meister.
„Kunstsalon“ nennen Semjon, Evgeni und Michael Posin ihre Galerie. Das klingt nach großen, Licht durchfluteten Räumen und sorgsam aufgehängten Kunstwerken. Das Bild ist jedoch ein anderes. Die Galerie der drei Brüder mit russischer Herkunft liegt im tiefen Neuköllner Kiez, und das Licht kämpft sich nur mühsam durch die schummrigen Räume. Die Bilder stehen auf dem Fußboden oder hängen eng und wahllos neben- und untereinander. Der kalte Zigaretten- und Pfeifenrauch, die ausrangierten Stilmöbel und die roten Holzwände geben dem Salon ein abgelebtes Flair, in dem die drei Maler mit ihrem üppigen Haar- und Bartwuchs soeben der russischen Kunstszene aus der Zarenzeit entstiegen zu sein scheinen. Und wer es noch mystischer will, lässt sich von einem der Brüder über eine steile Treppe in den Keller des Salons führen, der ebenfalls zu Galerie gehört. Hier verleiht das wenige Licht den Bildern eine düster-geheimnisvolle Ausstrahlung. Ein von der Ausstellung „Kunst und Diktatur“ übrig gebliebener, gemalter Stalin steht in der Ecke, und die „Mona Lisa“ schaut als Greisin aus einem Rahmen.
Doch neben den eigenen Werken stehen und hängen
vor allem Bilder an den Wänden, die eigentlich in den großen Museen der Welt zu
finden sind, Bilder von Vincent van Gogh, Leonardo da Vinci, Claude Monet,
Rembrandt, Caspar David Friedrich, Carl Spitzweg. Die drei Brüder kopieren die
berühmten Meister der Malerei und gehören zu den versiertesten Kunstfälschern
Deutschlands. Wahrscheinlich sind sie sogar die besten ihrer Zunft.
Einst studierten die drei heute 60-, 62-, und 64-jährigen Männer sechs Jahre
lang an der Kunstakademie in Leningrad und absolvierten ihr Praktikum in der
berühmten Eremitage. „In dem Museum studierten wir die Kunstwerke, ihre Farben
und Komposition. Wir beschäftigten uns intensiv mit den Malern und ihrer
Maltechnik, indem wir die Bilder immer und immer wieder kopierten“, erzählt
Michael, der Jüngste. Zwar hatten die drei Brüder schon in ihrer Kindheit viel
und gern gemalt, aber vom Vater konnten sie sich davon nichts abschauen. „Er
hatte ,Japanische Sprache‘ studiert.“
Was machen Absolventen nach dem Malereistudium? – sie wollen malen. Dabei nahmen
sie Anfang der 1980er Jahre keine staatlichen Auftragswerke an, sondern
versuchten sich auszuprobieren – jeder für sich und alle drei zusammen.
Doch es waren schwierige Zeiten für kritische Künstler, so dass sie mit ihrer
deutschen Mutter Mitte der 1980er Jahre in den Westteil Berlins auswanderten,
eine Prozedur, die sich über einige Jahre hingezogen hatte. Erst waren sie in
Notunterkünften untergebracht, später quartierte sich jeder in einer kleinen
Wohnung ein.
Sie schlugen sich zu dritt durch, kopierten eine Zeit lang Bilder für eine Firma
und perfektionierten diese Richtung der Kunstmalerei. Seit zehn Jahren sind sie
selbstständig und eröffneten im Jahr 2001 ihren Kunstsalon.
Eigentlich sprechen die drei Brüder nicht
gern vom Kopieren. „Kopieren heißt, nur die Oberfläche der Werke zu imitieren.
Dadurch werden die Bilder nicht lebendig. Wir lassen sie neu entstehen, geben
ihnen eine Seele“, erklärt Michael Posin den Unterschied. Alles beginnt mit der
Grundierung, dann folgt Schicht für Schicht. Die Gemälde erhalten eine
beeindruckende Tiefe. „Wir versetzen uns in die Stimmung des Malers, in sein
Verständnis für das Bild. Manchmal lesen wir noch einmal in der Biografie des
Malers, üben seinen Pinselstrich, nehmen dann sein Gefühl, sein Maltempo und
seinen Rhythmus auf.“ Es entsteht jedes Mal ein Original, nur Jahrhunderte
später. Und erst zum Schluss widmen sich die Maler den Zeitspuren, der Patina.
Bruder Evgeni ergänzt: „Kopieren ist für uns kein Handwerk, Kopieren ist Kunst.“
Eines Tages stellte sich bei ihnen ein Kunstmaler vor, der sich ebenfalls auf
Kopien spezialisiert hatte. „Wir fragten ihn, wie lange er für Monets
,Seerosenteich‘ benötigt. Als er von einigen Wochen sprach, wussten wir, dass er
keiner von uns ist und nicht unsere Philosophie verinnerlicht hat, wie die
meisten Kopisten. Monet hatte die Stimmung des Morgens aufgenommen und das
impressionistische Bild an einem Tag fertig gestellt. Genau in diesem Tempo, mit
diesem Pinselschwung malen auch wir das Bild.“
Vor einigen Jahren trudelte die Einladung des brandenburgischen Unternehmers
Gerold Schellstede im Kunstsalon ein. Der Geschäftsführer des Möbelzentrums
Großräschen, ein ausgewiesener Kunstkenner und -sammler, hatte von den drei
Fälscher-Genies erfahren und ließ ihre Werke im Möbelhaus ausstellen. „Die
Kunden waren so begeistert, dass ich auf die Idee kam, ein Fälschermuseum
einzurichten“, erzählt er. Alle herausragenden und berühmten Werke finden sich
in dem Museum: Carl Spitzwegs „Der Bücherwurm“, Vincent van Goghs
„Nachtterrasse“, Caspar David Friedrichs „Kreidefelsen auf Rügen“, Leonardo da
Vincis „Mona Lisa“, Rembrandts „Nachtwache“, Raffaels „Sixtinische Madonna“,
Liotards „Das Schokoladenmädchen“ – 120 Werke insgesamt.
„An welchem Ort der Welt hängen die größten Meisterwerke der letzten
Jahrhunderte friedlich an einem Ort nebeneinander“, fragt der Kunstsammler
begeistert. Und von den über 40 000 Besuchern, die in nur zwei Jahren ins
„Fälschermuseum Großräschen“ kamen, kann kaum jemand den Unterschied zu den
Originalen erkennen. Man erlebt deshalb einen Kunstgenuss der besonderen Art.
„Keiner konnte es besser machen als die drei kunstmalenden
Brüder“, ist sich Gerold Schellstede sicher.
Fälschermuseum im Seehotel Großräschen,
Seestr. 88,
Telefon 035753 690660
Kunstsalon Posin,
Wipperstr. 20,
12055 Berlin,
geöffnet Di, Do, Fr und Sa von 18 bis 21 Uhr;
Tel. 030 62737727, 0179 1892042